Armutsprävention: Bund setzt sich neue Ziele
Die Armut in der Schweiz nimmt zu. Im ersten Coronajahr 2020 betrug die Armutsquote 8,5 Prozent, wie es in einem Bericht des Bundesrates zur Armutsprävention heisst. Mit deren weiteren Ausbau und dem Aufbau eines nationalen Armutsmonitorings soll diese nun verstärkt werden.
Rund 722'000 Menschen waren im Coronajahr 2020 von Armut betroffen. Die Armutsquote, der Anteil der von Armut Betroffenen an der ständigen Wohlbevölkerung, steigt seit 2014. Und auch wenn das Bundesamt für Statistik für das Jahr 2020 keinen Anstieg der Sozialhilfeausgaben verzeichnet, so ist davon auszugehen, dass die Armut mit Auslaufen der staatlichen Covid 19 – Stützungsmassnahmen, von denen direkt und indirekt auch viele Privatpersonen profitierten, weiter zunimmt. So rechnet die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe mit einem Anstieg der Fallzahlen um 13,8 Prozent bis Ende 2023 gegenüber dem Vorcoronajahr 2019.
«Die soziale Absicherung der Bevölkerung ist ein Verfassungsziel,» schreibt der Bundesrat in seinem Bericht zur Armutsprävention, den er in Erfüllung eines Postulats aus dem Parlament verfasst hat. Der Bund hat in der Armutsbekämpfung allerdings nur eine «Koordinationskompetenz», mit der er regelt, welcher Kanton für die Leistungen der Not- und Sozialhilfe zuständig ist. Die Unterstützung Bedürftiger ist hingegen Sache der Wohnkantone. Eine Ausnahme bilden insbesondere Asylsuchende, wo der Bund die Fäden zieht. Er ist in erster Linie für die Sozialversicherungen zuständig, die zweifellos eine wichtige Rolle spielen, in aller Regel den persönlichen Bedarf aber nicht berücksichtigen.
Unter Armutsprävention versteht der Bundesrat, «die Fähigkeiten und nichtmateriellen Ressourcen (z.B. Gesundheit, soziale Beziehungen) von Menschen zu stärken. Dazu stünden Beratungsdienstleistungen oder der gesicherte Zugang zu wichtigen Angeboten wie Kinderbetreuung oder Bildung. Noch bis in die 1990er-Jahre war man, nach Jahrzehnten des wirtschaftlichen Aufschwungs und dem Ausbau der Sozialwerke, davon ausgegangen, dass die Armut weitgehend überwunden sei. Man hatte sich getäuscht. Durch das soziale Sicherungsnetz fielen insbesondere Migrantinnen und Migranten, Alleinerzieherinnen, ganz junge und ältere Menschen. Es sollte aber bis 2010 dauern, als der Bundesrat eine «gesamtschweizerische Strategie zur Amutsbekämpfung» präsentierte. Man war sich einig, dass die präventiven Massnahmen zu stärken seien. 2014 lancierte der Bundesrat ein auf fünf Jahre angelegtes «Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut», das neben 16 wissenschaftlichen Studien acht Praxisleitfäden und 25 Projekte zur Verbesserung von Bildungschancen zeitigte und 2018 um weitere sechs Jahre bis 2024 verlängert wurde, allerdings mit gekürzten Mitteln und unter neuem Namen: «Plattform gegen Armut». Eine Viertelmillion Franken sah der Bundesrat jährlich noch vor. Ein Schwerpunkt liegt in der Ausbildung von armutsgefährdeten Jugendlichen und gering qualifizierten Erwachsenen, ein anderer unter dem Begriff der Partizipation, wo es darum geht, die Betroffenen in der Entwicklung und Umsetzung einzubeziehen. Die Folgen der Corona-Pandemie untersucht der Bund mit Forschungsprojekten, die etwa aufzeigen, dass die finanzielle Ungleichheit eher noch zugenommen hat. Neu dazu kommt ein nationales Armutsmonitoring in Erfüllung eines Auftrages aus dem Parlament. Drei Jahre veranschlagt der Bundesrat alleine für die Aufbauphase. Das scheint auch notwendig zu sein, mangelt es doch insbesondere an Daten, die etwa Rückschlüsse auf die Lage in den Kantonen zuliessen. Wie es nach 2024, wenn das aktuelle Programm ausläuft, weitergeht, lässt die Regierung offen.
Dem Bundesrat ist es, wie er selbst schreibt, ein grosses Anliegen, nicht in die jeweiligen Kompetenzbereiche der Kantone und Gemeinden einzugreifen. Man darf von einer beratenden, aber kaum von einer gestaltenden Rolle sprechen. Angesichts einer seit bald einem Jahrzehnt ansteigenden Armutsquote steht die Frage im Raum, ob das ausreicht.
Urs Fitze